Kapitel 2: Die Schützen treten in Erscheinung

1819 – 1856

Mit dem Jahre 1819 beginnt eine entscheidende Veränderung in der Geschichte der Bruderschaft. Die bisher kirchliche Gebetsbruderschaft wandelte sich zur Schützenbruderschaft und entwickelte sich damit, wenn auch in einem jahrzehntelangen Prozess, in weltlicher Richtung. Warum wurde sie gerade im Jahre 1819 eingeführt? In jenem Jahr bestand die Bruderschaft genau 25 Jahre. Das erste Königsvogelschießen könnte ein Beitrag zum Jubiläum gewesen sein. Auch gab es in diesem Jahr einen Wechsel des Präses. Mit Pfarrer Hund trat 1819 ein neuer Pastor in Oberkassel seinen Dienst an, der zugleich der 3. Präses der Bruderschaft war. Es darf angenommen werden, dass das Zusammentreffen des Jubiläums und der Einführung des neuen Präses eine gute Gelegenheit bot, das Vogelschießen in die Bruderschaft einzuführen. Möglicherweise hatte man dies schon länger vorgehabt. Es gab in den Nachbargemeinden bereits Schützenbruderschaften, die schon über 100 Jahre bestanden. Vielleicht wollte man in Oberkassel diesen nacheifern?

Die ältesten uns vorliegenden, leider undatierten Regeln der Bruderschaft enthalten bereits einige Bestimmungen über den Schützenzug (Aufzug), das Vogelschießen und den Schützenzug. Es heißt dort:

  • §10 Wird ein Aufzug gehalten, so werden die Kosten von allen Mitgliedern der Bruderschaft bezahl.
  • §11 Um allen Einwendungen vorzubeugen, darf keiner, welcher nicht in der Bruderschaft ist, wenn nach dem Vogel um einen neuen König geschossen wird zugelassen werden, worauf der Brudermeister auf das strengste zu achten hat.
  • §12 Wer die Rechnung über die ergangenen Kosten des Aufzuges einsehen will, kann dieselbe jederzeit in der Wohnung des Brudermeisters sich vorlegen lassen.
Königsschild des 1. Schützenkönigs
Christian Pfeiffer
und der Königin Margaretha Hombitzer, 1819

Welche Gründe auch immer für das Einführen des Königsvogelschießens ausschlaggebend gewesen sein mögen, jedenfalls wurde mit Christian Pfeiffer der erste Schützenkönig der Bruderschaft ermittelt. Die erste Königin hieß Margaretha Hombitzer. Christian Pfeiffer wurde am 4.10.1798 in Oberkassel als fünftes Kind von Anton Pfeiffer und Anna Margaretha Werner geboren. er ist unter der Nummer 131 im Bruderschaftsbuch eingetragen. Als Beruf wurde später „Spezereihändler“ angegeben.12 Die Königin Margaretha Hombitzer (im katholischen Kirchenbuch eingetragen mit Hambitzer) wurde am 14.9.1796 geboren.

Das gut erhaltene Königsschild des ersten Schützenkönigs ist in der Form des eisernen Kreuzes ausgeführt. Das Eiserne Kreuz, von Karl Friedrich Schinkel entworfen, war vom preußischen König Friedrich Wilhelm III. am 10.3.1813 in Breslau als Tapferkeitsorden für die Dauer des Befreiungskrieges gegen Napoleon und seine Besatzungstruppen gestiftet worden. Man kann also das erste Königsschild als Symbol deuten, sowohl als christliches Zeichen wie auch als Hinweis auf die wehrhafte Rolle der Rheinlande bei der Befreiung von der Herrschaft Napoleons. Hierbei leistete auch der Landsturm vom Siebengebirge mit Oberkasseler Beteiligung seinen Beitrag. Auch das „Landwehrkreuz“ hatte die Form des eisernen Kreuzes.

An dieser Stelle soll daran erinnert werden, dass Napoleon die Säkularisation durchsetzte. Die Aufhebung des Kloster Heisterbach und des Stiftes Vilich sowie die Schwierigkeiten, die jede Pfarre mit der französischen Besatzung hatte, waren den Zeitgenossen in schlechter Erinnerung. Bei Gründung der Bruderschaft im Jahre 1794 besetzten die französischen Truppen Bonn. 25 Jahre später setzte Christian Pfeiffer mit seinem Königsschild ein interessantes Zeichen dahingehend, dass sich christliche und preußische Ideale durchgesetzt hatten. Die Heimat war befreit, und der Glaube konnte sich wieder ungehindert entfalten. Die Bruderschaft verstand sich als aktiver Teil der Kirche und als wehrhafter Schutz gegen Angriffe, was seinen sichtbaren Ausdruck bei den Prozessionen in der Begleitung des Allerheiligsten durch die Schützen fand.

Es gab zwei weitere Könige, die das Zeichen des „Eisernen Kreuzes“ als Königsschild wählten, nämlich Theodor Braschoß (1862) und der Jubilarkönig Hans Hübel (1951). Die Könige von 1833, 1835, 1836, 1837 und 1839 nahmen dieses Symbol in verkleinerter Form in ihr Schild auf.
Das Tragen der Königskette geht zurück auf die Ehrenkettender Zunftherren, adeliger Ordensgesellschaften und Bürgermeister. Die Königsketten der Schützen hatten ursprünglich nur einen Anhänger, der mit dem Bild des Bruderschaftspatrons versehen war. Im 16. Jahrhundert kam die Sitte auf, der Kette weitere Schilder, die von den Königen gestiftet wurden, hinzuzufügen. Bei der Oberkasseler Bruderschaft war es von 1819 an Pflicht des Königs, anlässlich seiner Königswürde ein Schild zu stiften. Beim Tod des Königs geht dann das Schild endgültig in den Besitz der Bruderschaft über.

Der heutige Schilderkranz der Bruderschaft 

Die Bruderschaft ist in der glücklichen Lage, fast noch alle Schilder ihrer Könige zu besitzen. In Kriegszeiten, in Notzeiten oder auch in Jahren, in denen die Bruderschaft nicht genügend Mitglieder hatte, wurde kein König ausgeschossen. Die Königsschilder der Bruderschaft sind keine Kunsthistorischen Kostbarkeiten, trotzdem sind sie meist Einzelanfertigungen und stellen gediegenes handwerkliches Können dar. Vier Schilder aus der ersten Zeit der Schützenbruderschaft tragen das Meisterzeichen eines Goldschmiedes. Alle Schilder tragen inschriftliche, bildliche oder ornamentale Gravuren. Die Formen sind vielfältig und auch vom jeweiligen Zeitgeschmack beeinflusst. Im vorigen Jahrhundert finden wir vielfach die Ordens- oder Wappenform. Ab 1852 ist fast immer über dem Schild eine Krone als Zeichen des Königs angebracht. Um die Jahrhundertwende finden wir öfters den preußischen Hoheitsadler, der das Schild krönt. Seit 1952 werden fast ausschließlich heimatverbundene Motive auf den Schildern abgebildet.

An das Königsschild des ersten Schützenkönigs Christian Pfeiffer ist ein kleiner Königsvogel angehängt. Er ist Sinnbild der im Wettkampf errungenen Trophäe. Bei den meisten Schützenbruderschaften dürfte ein Adler oder eine Taube als Vorbild für den Königsvogel gedient haben. Der große silberne Königsvogel, der heute noch die Königskette ziert, ist sicher in den Anfangsjahren der Schützen angeschafft worden, denn er wird bereits im Inventarprotokoll von 1857 erwähnt.

Wenden wir uns nun der Frage zu, wie das Schützenfest zu Beginn des 18. Jahrhunderts gefeiert wurde. Die bis auf wenige Ausnahmen vorhandenen Königsschilder sind fast die einzigen Überlieferungen der Bruderschaft, auf die wir uns direkt stützen können.
Einen Hinweis auf den Oberkasseler Schützenzug erhalten wir aus der ältesten, uns vorliegenden Kassenabrechnung der Bruderschaft. Hier ist von Tambour und Pfeifen die Rede, die wohl den Aufzug angeführt haben. Diese Abrechnung trägt kein Datum, nennt aber den Pastor Weiland, der von 1828 bis 1831 Pfarrer in Oberkassel war. Sie hat folgenden Text:

Ausgaben der Bruderschaft JMJ Thaler / Groschen
dem Herrn Pastor Weiland hab ich bezahlt120
die Messe auf Maytag30
dem Küster Adolph Strack218
und eine Stump auf die Kerze136
auf Pfingsten eine heilige Messe30
und an den Fanen hab ich machen lassen
7
noch an Tambour und Pfeifen50
noch eine Strauß und Band an die hl. Cäcilia50
Summa741
Der silberne Königsvogel 

Zwei berühmte Zeitzeugen haben die rheinische Kirmes und das Schützenfest geschildert, wie sie es zu Anfang des vorigen Jahrhunderts miterlebt haben, nämlich Gottfried Kinkel und Carl Schurz. In seiner Romanerzählung „Margret“ schildert Kinkel ein Schützenfest, das er an der Ahr stattfinden lässt. Der 1815 in Oberkassel geborene Kinkel gibt hier wohl auch Eindrücke wieder, die er in seiner Jugendzeit in Oberkassel erlebt hat und die Zeit bis etwa 1830 betreffen. Man kann beispielsweise an seiner genauen Schilderung des Fahnenschwenkens die heute noch gezeigte Darbietung erkennen. Kinkel schreibt zum Beispiel über den Fähnrich: „… Trommel und Pfeife spielen eine alte muntere Weise: nach ihrem Rhythmus erhub er die Fahne in die Luft, schwang sie über dem Haupte, dann stemmte er den Schaft in die Seite und ließ das flatternde Banner mitten um seinen Leib in weitem Kreise rauschen, dreimal rechts, dreimal links herum. Hierauf erhub er den einen Fuß, und um das Knie des anderen beschrieb die Fahne, dicht am Boden herwehend ohne ihn zu berühren, ihre raschen rauschenden Kreise; auch um den rechten Fuß führte sie sodann die andere Hand, während der Linke sich erhub sie durchzulassen“. Kinkel schildert auch das Königsvogelschießen und führt aus: „Glückliche Schüsse fegten den Schwanz, die Flügel und zuletzt auch den Kopf weg; ein lautes Triumpfgeschrei der Jugend folgte jedem herabsplitternden Theile, und die kleinen Jungs balgten sich um die Holzspäne.“13

Carl Schurz beschreibt in seinen Lebenserinnerungen ebenfalls eine rheinische Kirmes und das jährliche Vogelschießen in seiner Heimat Liblar. Über den Schützenzug berichtet er: „Endlich setzte sich der Zug in Bewegung; voran Hahnen Drickes, der Trommler mit einem Blumenstrauß und bunten Bändern geschmückt; dann mit der Fahne, die das in grellen Farben gemalte Bild des mit unglaublich vielen Pfeilen durchschossenen heiligen Sebastianus trug, Meister Schäfer, ein Schneider, ein weißhaariger, spindeldürrer Mann, der junge Fänt (Fähnrich) genannt, weil sein Vater auch schon die Fahne geschwungen hatte; dann zwei Hauptmänner …; dann zwischen zwei Vorstehern der Gesellschaft der vorjährige Schützenkönig mit einer … schweren silbernen Kette um den Hals. An dieser Kette war eine Menge fast handgroßer Schilder befestigt, die Namen der Schützenkönige wohl eines Jahrhunderts tragend, und von diesen der Bruderschaft geschenkt.“ Schurz beschreibt das Vogelschießen und Königskrönung, die gleich nach dem letzten Schuss stattfand. Nach dem Rückmarsch in den Ort kam das „Königsessen“ in einem Wirtshaus, bei dem der neue Schützenkönig den alten und den Vorstand der Bruderschaft einlud.14

Wie man sieht, hat sich an dem von Kinkel und Schurz geschilderten Brauch nicht viel geändert.
Zum Fahnenschwenken sei noch angemerkt, dass die Bewegung, die das Fahnentuch vollführt, an die Fesseln erinnern sollen, mit denen der hl. Sebastian an einen Baum gebunden wurde. Darstellungen des Heiligen zeigen meist den Baum, die Fesseln und die Pfeile, mit denen er durchbohrt wurde. Der hl. Sebastian ist der Schutzpatron aller Schützen. Viele Bruderschaften sind nach ihm benannt, so auch die älteste, nicht mehr bestehende Bruderschaft in Oberkassel von 1662.

Das die Kirmes in Oberkassel nicht nur ein Dorffest für die Einheimischen war, schlägt sich Zeitungsanzeigen Oberkasseler Wirte nieder. Die älteste vorgefundene Anzeige stammt aus dem Jahr 1832. Im Bonner Wochenblatt lädt der Gastwirt J.W. Kotzenberg zur Oberkasseler Kirmes für Sonntag, den 19.8.1832 und die folgenden Tage zur Tanzmusik ein. Nach dieser Einladung weist der Schiffer Barthel Werner darauf hin, dass ein „bedeckter Nachen“ an den Kirmestagen am Mittag um 2 Uhr in Bonn abfährt und dass die Rückfahrt um 8 Uhr beginnt. Am 18.8.1837 erscheint im Bonner Wochenblatt folgende interessante Anzeige:15

Die Oberkasseler feierten also damals auch schon an 3 Kirmestagen. Die „table d´hote“ ist der Ausdruck für ein gemeinschaftliches Gasthausessen aller Gäste und die „Harmonie“ ist eine Unterhaltungsmusik, die nur von Blasinstrumenten dargeboten wurde. Für den Kirmesdienstag wird dann das Vogelschießen angekündigt. Aus dem Anzeigentext könnte man entnehmen, dass alle angekündigten Attraktionen beim unterzeichnenden Gastwirt auf seinem Anwesen stattfanden. Ein entsprechender Garten als Austragungsort für das Vogelschießen ist denkbar. Es kann aber auch der Schützenzug von dem Gasthof Fuchs ausgezogen sein, um an anderer Stelle das Vogelschießen durchzuführen. Da nicht mehr zu ermitteln ist, wo die Gaststätte Fuchs lag und dort die Möglichkeit des Vogelschießens gegeben war, muss die Frage offen bleiben. In den folgenden 5 Jahren erscheinen diese Anzeigen weiter, obwohl für 1840 – 1842, also drei Jahre, kein König der Bruderschaft ermittelt wurde.

Im Jahre 1844 inseriert Georg Wolff als Gastgeber des Hotel de belle vue. Er zeigt an, dass er „bei Gelegenheit der hiesigen Kirchmesse in seinem neu erbauten Saale Tanzmusik hält und Dienstag ein Vogelschießen veranstaltet.“16

Im nächsten Jahr, 1845, wird von Wolff, der sich jetzt als Gastwirth zur Wolfsburg bezeichnet, ein Vogel- und Sternschießen angekündigt. Aber der nächste König der Bruderschaft wird erst wieder 1846 ermittelt. Es fand sich wohl nicht für jedes Jahr ein Kandidat, der König werden wollte oder konnte, denn dies war ja nicht zuletzt auch eine finanzielle Frage. Ob in den Jahren, in denen die Bruderschaft keinen König ermittelte, trotzdem ein Schützenzug gehalten wurde, wissen wir nicht. Dies scheint aber dem Treiben der Gastwirtschaften keinen Abbruch getan zu haben, wie die jährlichen Anzeigen der Gastwirte erkennen lassen.

Im Jahr 1853 inseriert anlässlich der Kirmes der Gastwirt Heinrich Weinstock, Besitzer der Gaststätte „Zum Weingarten“. Von ihm wissen wir, dass er am 3.4.1800 geboren wurde und Adelheid Rhein heiratete.17 Er hatte wohl zu der Bruderschaft ein gutes Verhältnis, denn öfters lud er zum Vogelschießen ein.18 Dies ist verständlich, denn er hatte 1821 selbst den Vogel geschossen, war also ehemaliger Schützenkönig. Sein Königsschild macht seinem Namen alle Ehre, denn es ist mit Trauben und Blättern des Weinstocks umrandet.
Heinrich Weinstock war sicher ein guter und beliebter Wirt, denn 1858 konnte man nach der Oberkasseler Kirmes folgendes in der Bonner Zeitung lesen: „Dem biederen Herrn Weinstock statten wir hiermit unseren herzlichen Dank ab für die uns gestern in seinem Weingarten erwiesene Ehre, indem er uns mit reifen Trauben und grünem Laub bekränzte. Die hier verlebten frohen Stunden werden stets in unserem Gedächtnis bleiben! Die Ungenannten, aber Wohlbekannten aus Bonn.“19 Und wo befand sich die Gaststätte „Zum Weingarten“ des Heinrich Weinstocks? Aus späteren Veröffentlichungen wissen wir, dass sie sich an der Ecke Hauptstrasse/Kirchstrasse (heute Königswinterer Strasse/Kastellstrasse) befand. Die Gaststätte Weinstock übernahm am 22.4.1882 Theodor Lintermann. Der Tanzsaal wurde um die Jahrhundertwende noch benutzt, musste aber 1910 abgerissen werden, weil er weit in die Hauptstrasse hineinragte und die Gemeinde die Fläche zur Strassenerweiterung und Anlage eines Bürgersteiges brauchte.20

Gaststätte Weinstock, später Lintermann, an der Ecke Hauptstraße/Kirchstraße
(heute Königswinterer Straße/Kastellstraße)

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