1884 – 1918
Die Schwenkfahne der Bruderschaft von 1884
Im Jahr 1884 konnte die Bruderschaft auf ihr 90jähriges Bestehen zurückblicken. Möglicherweise war dies der Anlass, eine neue Schwenkfahne anzuschaffen, die heute noch im Besitz der Bruderschaft ist. Fast mit Sicherheit können wir davon ausgehen, dass Friedrich Kniel diese Fahne gemalt hat. Er war Maler- und Dekorationsmeister und unterhielt seit 1860 in Oberkassel eine Zeichenschule, die zeitweise von 50 Schülern besucht wurde.23 In der Zeit des Kulturkampfes hat er die katholische Gemeinde als Kirchenvorstandspräsident verwaltet. Er hatte wohl auch guten Kontakt zur Bruderschaft, denn aus einem Schriftstück geht hervor, dass ihm im Jahre 1886 zur Aufbewahrung im Archiv ein Kästchen mit den Königsschildern vom Brudermeister Anton Mittler übergeben wurde.
Diese Fahne von 1884 zeigt als Mittelpunkt die hl. Familie, also das Patronat der Bruderschaft, in der damals üblichen farbenfrohen Darstellung. Interessant ist, dass im Hintergrund rechts unten die Pfarrkirche und die neuerbaute katholische Volksschule dargestellt sind. Die Kirche, die 1865 eingeweiht wurde, hatte noch nicht die heute vorhandenen Seitenschiffe und Seiteneingänge. Sie trägt auf der Vierung des Kreuzgewölbes einen Dachreiter, der aus Holz war. Er wurde bereits vor 1900, wahrscheinlich wegen Sturmschadens, wieder entfernt. In diesem Dachreiter befand sich eine kleine Gußstahlglocke.24 Die katholische Kirchengemeinde hat diese im Jahr 1959 der Zivilgemeinde geschenkt, als eine neue Friedhofskapelle gebaut wurde. Dieses kleine Glöckchen läutet heute, wenn ein Mitbürger zu Grabe getragen wird. Es trägt folgende Inschrift:
GESCHENK DES JUNGGESELLEN
MAX UHRMACHER
PAX TECUM
1867
Der Friedhof, der zu der damaligen Zeit noch benutzt wurde und um die Kirche herum angelegt war, ist durch einige Grabkreuze angedeutet. Die Berge im Hintergrund deuten die Nähe des Siebengebirges an.
Auch früher war für den Schützenzug eine behördliche Genehmigung erforderlich. Am 2.8.1885 schreibt der Brudermeister Johann Falkenstein an das „hochwohllöbliche Bürgermeisteramt Oberkassel“:
„Ihre Wohlgeboren, der Bürgermeister wollen gütigst Ihre Genehmigung zu dem bei dem Kirchweihfest in Oberkassel zu veranstaltenden Schützenzug geben. Der Schützenzug wird vorraussichtlich folgende Reihenfolge bekommen: Sonntags früh antreten des Zuges, abholen von Hauptmann, zwei Fahnen, Brudermeister und Schützenkönig. Alsdann wird der Geistliche abgeholt werden und Marsch nach der Kirche. Nach Beendigung der Kirche nach elf Uhr antreten des Zuges und Fahnenschwenken vor dem Geistlichen. Alsdann werden der Geistliche und der Schützenkönig nach Hause geleitet.
Nachmittags wieder antreten des Zuges, wieder abholen des Hauptmannes, Brudermeisters, Fahnen und Schützenkönigs und abholen des Geistlichen zum Gottesdienst. Nach Beendigung des Gottesdienstes wird die Königin abgeholt abgeholt werden mit Fahnenschwenken. Alsdann Parade und eingehen zum Saale.
Die folgenden Tage antreten und abholen gerade wieder wie Sonntags . Das übliche Fahnenschwenken wird dann nach dem Wunsche der Leute selbst veranstaltet werden. Von verschiedenen Herren ist selbiges beantragt worden. Dienstags vormittags ist dann noch Marsch nach dem Vogel. Die Bruderschaft und der Schützenzug möchten sich dann noch die Ehre ausbitten, Ihm dem Herrn Bürgermeister, als Ehrenmitglied den ersten Schuß auf den Vogel zu präsentieren.Nachmittags ist dann Fortsetzung des Vogelschußes. Nach Beendigung Krönung des neuen Königs und abholen der Königin, alsdann wieder Parade und Marsch nach dem Vereinslokal.“25
Diesem Schreibem war noch eine namentliche Aufstellung von 51 Mitgliedern beigefügt, die am Schützenzug teilnehmen werden. Eine erstaunlich große Zahl für die damalige Zeit. Ansonsten hat sich seit über 100 Jahren nichts wesentliches am Ablauf des Kirmesprogramms geändert. Lediglich wird der Schützenkönig nicht mehr Dienstags, sondern heute am Kirmesmontag ermittelt. Allerdings hatte man früher schon einkalkuliert, dass der Königsvogel selten schon am Vormittag fiel. Es wurde gleich für den Nachmittag die Fortsetzung des Schießens angesetzt. Die Krönung des König wurde damals direkt anschließend an das Schießen auf dem Schießplatz vorgenommen.
Schützenkönig Franz Schröder
und Königin Elisabeth Hey. 1886
Bildmaterial aus der Zeit vor 1900 ist verständlicherweise nur wenig vorhanden. Fotos, die Schützenkönige vor 1900 zeigen, sind selten und meist erst später entstanden und stammen aus späteren Lebensjahren. Das erste Originalbild eines Königspaares, es waren Franz Schröder und Elisabeth Hey, stammt aus dem Jahre 1886. Ein Jahr später ließ sich der Schützenkönig Nikolaus Cerfontaine mit seiner Königin Anna Hölscher beim Fotografen auf die Platte bannen. Sehr leger gibt sich der Schützenkönig Jean Saal im Jahre 1897. Ab 1907 haben sich fast alle Königspaare mit Hofstaat dem Fotografen gestellt.
Im ältesten Bruderschaftsbuch ist bis gegen Ende des Jahrhunderts kein Protokoll enthalten. Ein solches war wohl in den Anfangsjahren der Bruderschaft nicht erforderlich, denn die Ämter der Brudermeister und Kerzenboten wurden jährlich neu vergeben und dann gleich im Bruderschaftsbuch hinter dem Namen des Mitgliedes vermerkt. Im Bruderschaftsbuch ist 1886 folgendes eingetragen: „Die am 20ten Juni 1886 in diesem Buche noch als aktive Mitglieder eingeschriebenen Mitglieder sind auf Seite Nr. 32 zur besseren Übersicht noch einmal neu aufgeführt der Reihenfolge nach. Der Brudermeister Anton Mittler.“ Nach dieser Neueintragung waren 54 Junggesellen Mitglieder der Bruderschaft. Einige Eintragungen über das Ausscheiden dieser Mitglieder sind interessant. Außer dem üblichen Vermerk „geheiratet“ finden wir noch folgende Eintragungen: „Weil er die Bruderwache nicht gethan hat, wozu er bestellt war“, „wegen Nichtzahlen der Beiträge“ und „weil er die Bruderschaft betrogen hat“. Bei drei Mitgliedern hat der Brudermeister Anton Mittler in der Spalte ausgeschieden vermerkt: „wegen schlechten Betragens“. Noch aus einigen anderen Vermerken kann man schließen, dass der Brudermeister Anton Mittler für Ordnung in der Bruderschaft gesorgt hat. Er war nicht nur 1886, sondern auch 1887 und einige Monate 1891/92 Brudermeister und ist 1892 nach 17jähriger Mitgliedschaft freiwillig ausgeschieden.
Bei den Jungfrauen hat Anton Mittler ebenfalls im Jahre 1886 eine Neueintragung vorgenommen. 61 Namen von Jungfrauen schrieb er in das Buch neu ein. Auch hier einige Anmerkungen über den Grund des Ausscheidens, die aus dem Rahmen fallen, wie „Nichtbezahlen der Beiträge“, „Im Kloster“ oder „Verziehenshalber“. Allerdings scheint es 1888 einen Aufstand unter den weiblichen Angehörigen der Bruderschaft gegeben zu haben, denn wir finden bei sechs Jungfrauen den Vermerk: „1888 ausgeschieden wegen Opposition gegen die Bruderschaftsregeln. Der Brudermeister W. Henscheid“.
Die Bruderschaftsregeln wurden 1888 von dem Pfarrer Johann Frank neu aufgestellt. Er schaffte auch ein Protokollbuch an „zum Zwecke die Regeln und Gebräuche bei der Bruderschaft in dieses Buch aufzuführen und sämtliche Beschlüsse und Vereinbarungen bei Gelegenheit von Versammlungen der Bruderschaft in dieses Buch zu Protokoll zu nehmen“. Die Regeln der Bruderschaft sind mit dem üblichen Vorwort, das wiederum auf das Gründungsjahr 1794 hinweist, an den Anfang des Protokollbuches gestellt. Vergleicht man diese Regeln mit der letzten Änderung im Jahre 1857 so fallen einige Änderungen auf. Es wird zunächst nochmals der Zweck der Bruderschaft deutlich hervorgehoben, nämlich die Vermehrung der öffentlichen Andachten, die Hebung des kirchlichen Gottesdienstes und die Aufmunterung zur Ausübung der christlichen Liebeswerke. Wird ein Mitglied krank, so bestimmen die Regeln jetzt genau, von wann bis wann die Nachtwache zu halten ist und auch wie lange, nämlich im Regelfall 14 Tage. Auf Beschluss des Brudermeisters oder der Vorsteherin kann diese Zeit verlängert werden. Stirbt ein Mitglied, so wird jetzt vorgeschrieben, wann und wie die Totenwache zu halten ist. Die Aufgaben der Kerzenboten werden genannt, nämlich das Bestellen der Toten- und Krankenwache, sowie das Bestellen zu einer Generalversammlung. Festgelegt wird auch, dass die Kosten der Musik anlässlich der Prozessionen von der J.M.J. Junggesellen-Bruderschaft und der St. Sebastianus-Bruderschaft je zur Hälfte zu tragen sind. Zur Bestreitung der Ausgaben der Bruderschaft wird ein Monatsbeitrag eingeführt, und dem Brudermeister wird vorgeschrieben, wie die Gelder einzusammeln und zu verwalten sind.
Anscheinend hatte das Schützenfest mit dem Schützenzug und dem Königsvogelschießen inzwischen einen größeren Stellenwert in der Bruderschaft erhalten, denn die Bestimmungen hierüber wurden wie folgt erweitert:
§ 16 Wird von der Bruderschaft zu Kirmes ein Schützenfest veranstaltet, so kann keiner zu einem Offizier-Dienste zugelassen werden, sowie keiner als Schützenkönig hervorgehen, der nicht Mitglied der Bruderschaft ist, oder zu werden beabsichtigt und muss im letzteren Falle bevor er zum Vogelschuße oder ein Offizier-Dienst im Schützenzug erhält, sich einschreiben lassen und dem Brudermeister die Einschreibgebür bezahlen.
§ 17 Der Schilderkranz, welcher zur Zierde des Königs dient beim Schützenfeste und jährlich durch ein neues silbernes Schild von Seiten des neuen Königs vermehrt wird, ist und bleibt ein unveräußerliches Eigentum der Bruderschaft. Wer sich unmoralisch beträgt und die schuldigen Beiträge nicht bezahlt, wird als unwürdiges Mitglied ausgestrichen.
Zusammengefasst kann festgestellt werden, dass die von Pfarrer Frank 1888 revidierten Regeln zeitgerecht ergänzt wurden.
Schützenkönigspaar Nikolaus Cerfontaine und Anna Hölscher, 1887
Von dem 51. Schützenkönig Nikolaus Cerfontaine wissen wir, dass er 1865 geboren wurde und Anna Hölscher zur Königin nahm. Über seinem Königsschild ließ er zwei gekreuzte Hämmer anbringen, die auf den Basaltabbau deuten. Tatsächlich war Cerfontaine als Sprengmeister im Steinbruch tätig. Er wohnte in Oberkassel in der Zipperstrasse 30. Im Jahre 1937 konnte er mit seiner früheren Königin das goldene Königsjubiläum feiern. Die Königin heiratete damals den Bruder des Schützenkönigs, nämlich Johann Josef Cerfontaine. Dieser verunglückte am 20.5.1892 beim Beladen (schürgen) eines Lastkahns mit Basalt am Oberkasseler Rheinufer und ertrank.26
Auf Veranlassung des Pfarrers Frank wurde am 20.9.1891 eine wichtige Versammlung der Bruderschaft einberufen, auf der er wohl die durch den Kulturkampf eingetretenen Missstände beseitigen wollte. Hinzu kam, dass von dem amtierenden Brudermeister Gelder, wahrscheinlich anlässlich der Kirmes, veruntreut worden waren und diese Oberkassel verlassen hatte. Pfarrer Frank ersuchte die Bruderschaft, folgende Punkte zu beachten, die dann auch von der Versammlung beschlossen wurden:
1. Für die Musik bei der Prozession an Maria Himmelfahrt sind von der Bruderschaft 20 Mark beizusteuern.
2. Es ist unstatthaft, bei den Kirmesfeierlichkeiten Andersgläubigen die Fahne zu schwenken.
3. Die Mitglieder des Schützenzuges haben sich bei den Kirmesfeierlichkeiten am Sonntag im Hochamt in voller Uniform in der Kirche aufzustellen.
4. Zur besseren und sicheren Aufbewahrung wird der Schilderkranz in der Pastorat aufbewahrt.
5. Der Brudermeister wird nicht mehr wie bisher alljährlich gewählt, sondern solange im Amt bleiben, wie ihm möglich sei, das Amt zu verwalten.
6. Neuanschaffungen sollen nur noch gemacht werden, wenn hierfür ein Versammlungsbeschluss vorliegt.
Schützenkönigspaar Peter Wirges
und Katharina Heinen, 1891
Die strenge Regie des Pfarrers Frank ist unverkennbar. Offensichtlich wurde damals auch schon „Andersgläubigen“ die Fahne geschwenkt, sonst hätte man dies nicht zu verbieten brauchen. Notwendig war sicherlich, die Finanzen der Bruderschaft wieder in Ordnung zu bringen. Ab 1.1.1892 wurden von den Mitgliedern regelmäßig Beiträge erhoben, und am 25.3.1892 wurde ein Kassenprüfungsausschuß gewählt, der die Jahresrechnung künftig in der Wohnung des Kirchenrendanten zu prüfen hatte.
Schützenkönig des Jahres 1891 wurde Peter Wirges, Königin war Katharina Heinen. Anton Mittler wurde in der Versammlung am 20.9.1891 wieder zum Brudermeister gewählt. Er hatte dieses Amt jedoch nur vorübergehend bis zum 3.4.1892 ausgeübt, denn dann wurde Theo Ronig sein Nachfolger.
Durch die preußische Regierung war angeordnet, dass jede Veranstaltung und jeder Umzug der örtlichen Behörde angezeigt werden musste. Der Brudermeister Ludwig Ronig meldete daher am 16.8.1895 für die Kirmes den Schützenzug beim Bürgermeisteramt an und legte folgendes Teilnehmerverzeichnis vor:27
Schützenkönig Jean Saal, 1897
Brudermeister | Ronig, Ludwig |
Schützenkönig | Zimmermann, C. |
Hauptmann | Hülz, Michael |
Feuerwerker | Künzler, Heinrich |
I. Zugführer | Lohmar, Wilh. II |
II. Zugführer | Schwarz, Peter |
Fähnrich | Nolden, Johann |
Fahnenträger | Schell, Heinrich |
Leibgarde | Lohmar, Wilh. I Lenz, Peter |
Brudermeister-Begleiter | Braschoß, Theo Laufenberg, Joh. Müller, Christian |
Adjutanten | Lenz, Ludwig Brosy, Peter |
Fähnrich-Begleiter | Falkenstein, Heinr. Efferz, Peter Welter, Hermann |
Fahnenträger-Begleiter | Mühlenz, Adolph Nolden, Christian Bellinghausen, Fritz |
Schließ-Offiz. | Lucas, Johann Troisdorf, Rudolf |
Gewehrträger | Troisdorf, Johann Horbach, Josef Kuttner, Carl Thiesen, Friedrich Menden, Johann Menden, Jacob |
Kirchenfahne von 1895
Im Jahr 1895 wurde von der Bruderschaft eine neue Fahne angeschafft, die heute noch – wenn auch stark beschädigt – vorhanden ist. Sie zeigt auf der einen Seite die hl. Familie mit der Inschrift „Jesus, Maria, Josef – erleuchtet uns, helfet uns, rettet uns“. Die Rückseite ist ebenfalls mit einer Inschrift versehen, und zwar „Bruderschaft von Jesus, Maria und Josef – 1795 Obercaßel 1895“. Das Gründungsjahr ist hier offensichtlich falsch angegeben.
Es ist vielleicht von Interesse, einiges über die „Kirmes“, mit der die Bruderschaft eng verbunden ist, zu sagen. Bei der rheinischen Kirmes kommen oft, so auch in Oberkassel, das kirchliche Fest, das Schützenfest und der Jahrmarkt zusammen. Sie ist wohl so alt wie die Zeit, in der Kirchen gebaut und geweiht wurden. Abgeleitet ist das Wort „Kirmes“ von „Kirchmesse“ oder „Kirchweihe“. Diese Wörter weisen auf den Ursprung hin, nämlich auf die Weihe der örtlichen Pfarrkirche. Manchmal ist die Kirmes auch mit dem Namensfest des Kirchenpatrons (patrozinium) terminlich verbunden. Für Oberkassel kann dies nicht gelten, denn das Fest der hl. Cäcilia fällt in den Monat November. Wir können daher annehmen, dass es früher eine Kircheinweihung im August, möglicherweise zu Maria Himmelfahrt gegeben hat, denn seit Jahrhunderten feiern die Oberkasseler die Kirmes zum Feste Maria Himmelfahrt (15.August) oder am Sonntag darauf. Die älteste Nachricht über die Kirmes in Oberkassel können wir einer Beschwerdeschrift der evangelisch reformierten Gemeinde entnehmen. Hiernach sind Katholiken am 17.8.1682 „nach sogenanntem Kirmestag“ in das Haus eines Reformierten eingedrungen und haben diesen „elendig zerschlagen“.28
Anzeigen einiger Oberkasseler Gastwirte anläßlich der Kirmes, 1902
Neben dem Erinnern und feierlichen Gedenken an die Weihe der Kirche ist die Kirmes schon seit dem Mittelalter von weltlichem Treiben begleitet. Die örtlichen Gastwirte, auch in Oberkassel, luden zum großen Tanzvergnügen im Saal oder Zelt ein. „Für gute Speisen und Getränke ist bestens gesorgt“, konnte man in den Zeitungsanzeigen lesen.29 Das so ein Volksfest „durch Unmäßigkeit im Essen und Tunksucht“ ausarten kann, hat bereits Cäsarius von Heisterbach festgestellt. Anlässlich einer „Kirchweih“ berichtet er von den üblen Folgen der Trunksucht.30 Die Kirmes ist besonders von den Niederländischen Malern, z.B. Pieter Bruegel, als Bauernkirmes dargestellt worden. Tatsächlich war sie bis ins vorige Jahrhundert oft das einzige Dorffest, an dem öffentlich getanzt werden durfte.
Wie wurde denn die Kirmes um die Jahrhundertwende in Oberkassel gefeiert? Hierüber gibt es keine schriftlichen Berichte, aber aus den Schilderungen unserer Eltern und Großeltern können wir einiges entnehmen. Die Vorbereitungen für die Kirmes fingen auch in Oberkassel damit an, das Haus in Ordnung zu bringen. In den Ortsteilen mit vielen Fachwerkhäusern wurden die Gefache neu gekälkt und die Balken schwarz gestrichen. Wenn man dann auch noch im Innern des Hauses die Küche neu gestrichen oder das gute Zimmer tapeziert hatte, konnten die Verwandten zu Kirmes kommen. Früher mehr als heute war die Kirmes ein Familienfest, an dem sich die Geschwister im Elternhaus trafen; aber auch Tanten und Onkel wurden gerne eingeladen, zumal die Kinder auf das Kirmesgeld spekulierten. Die Hausfrau war bemüht, das beste auf den Tisch zu bringen. Hatte man selbst Vieh, dann wurde vor Kirmes geschlachtet und es kam viel Fleisch auf den Tisch. Ein reichhaltiges Essen gehörte einfach dazu. In der Woche vor Kirmes hatte die Hausfrau bereits „Kwätsche- oder Appeltaat“ gebacken. War viel Besuch zu erwarten, wurden Bleche mit vorgenanntem Kuchen vorbereitet und zum Abbacken zu dem örtlichen Bäcker gebracht. Auch der Kirmesweck (Blatz) war beliebt. Jedenfalls hatte die Hausfrau alle Hände voll zu tun. Lediglich ein Besuch des Kirmesmarktes mit den Kleinen oder das Zuschauen bei der Kirmesparade war für sie möglich.
Nicht unerwähnt bleiben soll, dass die Kirmes früher, ja, bis nach dem 2. Weltkrieg, den jungen Leuten zum Kennenlernen diente. Hier konnten die Junggesellen und Mädchen, wenn meist auch unter den Augen der Eltern, tanzen gehen. Viele Oberkasseler Junggesellen haben anlässlich der Kirmes ihre spätere Ehepartnerin kennengelernt, und aus manchem Schützenkönigspaar wurde ein Ehepaar.
In welchen Lokalen feierten die Oberkasseler um die Jahrhundertwende die Kirmes? Zur Kirmes 1892 luden Josef Eckers und der „Junggesellen-Verein“, also die Bruderschaft, zum großen Tanzvergnügen ein.31 Eckers war zu dieser Zeit der Gastwirt des Rheinischen Hofes (am Marktplatz), der sich in den Jahren 1904/1905 „Bayrischer Hof“ nannte. Unter Franz Hübel erhielt er wieder die alte Bezeichnung „Rheinischer Hof“. Gabriel Adrian lud zur Kirmes 1892 zum großen Tanzvergnügen ein, das in dem an der Zipperstrasse heute noch stehenden Fachwerkhaus stattfand. Im Jahr 1898 finden wir eine Anzeige von Jean Löhr, vormals G. Uhrmacher, der zum Tanzvergnügen einlud.32 Er war der Wirt des Gasthofes „Zum Reichsadler“, der sich an der Ecke Hauptstrasse/Baumstrasse (heute Königswinterer Strasse/Baumstrasse) befand. Aus dem gleichen Jahr liegt eine Anzeige anlässlich der Kirmes vom „Oehmsche Patt“ vor. Heinrich Patt hieß der Inhaber der Gaststätte Berghovener Strasse 7. J. Pickenhan war der Inhaber des Gasthofes „Zur Post“, Ecke Hauptstrasse/Weiherstrasse (heute Königswinterer Strasse/Cäcilienstrasse). Er zeigt 1902 an, dass er an Kirmes Tanzmusik abhält.33
Oberkassel war um die Jahrhundertwende ein beliebtes Ausflugsziel. Die bevorzugte Lage in der Nähe des Siebengebirges lockte manchen Besucher an. Hiervon profitierte vor allem das Gaststättengewerbe. Immerhin gab es 1902 in Oberkassel 16 Gaststätten und Restaurants.34 Die Bruderschaft hatte nun die Qual der Wahl, bei welchem Gastwirt, der einen Tanzsaal hatte, sie ihre Veranstaltungen an der Kirmes abhalten sollte. Einer Anzeige aus dem Jahre 1902 entnehmen wir, dass Ludwig Stommel an allen drei Kirmestagen großes Tanzvergnügen abhält, zu dem der Wirt und die „Schützengesellschaft Oberkassel“, also die Bruderschaft, einladen. Die Gaststätte befand sich im Hause Jakobstraße 5 (heute 22), wo es auch einen kleinen Saal gab. Hier hat die Bruderschaft bis 1906 ihre Veranstaltungen abgehalten.35 Wo die Bruderschaft ihre Kirmesbälle dann bis zum Ausbruch des 1. Weltkrieges abhielt, ist nicht überliefert.
Anzeige des Gastwirts Gronewald
aus dem Jahre 1906
Mit Sicherheit hat die Bruderschaft mit ihrem Schützenzug und dem Vogelschießen der Kirmes im vorigen Jahrhundert Inhalt und Gepräge gegeben. Allerdings gab es auch schon am Ende des vorigen Jahrhunderts in Oberkassel einen Kirmesmarkt mit Karussells und Buden. Er wurde auf dem Schulhof an der katholischen Volksschule aufgebaut. Hierzu eine Notiz, die in der Presse am 21.8.1899 zu lesen war: „Obercassel. Zwei Karousselknechte, die am verflossenen Mittwoch auf dem Schulhofe bei dem Aufstellen der Kirmesbuden und der dazugehörigen Wagen mit Fuhrleuten eine schwere Schlägerei in Scene gesetzt hat, widersetzten sich, obgleich sie beide von Blut überströmten, dem herbeigeeilten Polizeisergeanten. Sie wurden aber schließlich doch überwältigt. Nachdem im Spritzenhaus ihre Wunden verbunden worden waren, führte man sie geschlossen in das Gefängnis zu Königswinter.“36
Kehren wir zu dem internen Vereinsleben der Bruderschaft zurück. Jubiläen wurden auch schon im vorigen Jahrhundert gefeiert. Bereits 1869 konnte die Bruderschaft aus Anlaß ihres 50jährigen Schützenjubiläums (1819) einen Jubilarkönig küren. Er hieß Johann Müller. Nicht jedes Jahr war ein Schützenkönig ausgeschossen worden. Dies lag wohl an den Zeitverhältnissen, aber auch an dem inneren Zustand der Bruderschaft. Den 50. König ermittelte man im Jahre 1886/87. Weil das zweite Jahr das eigentliche Königsjahr ist, wurde der Jubilarkönig, der J.G. Falkenstein hieß, erst 1887 ermittelt. Aus Anlaß des 110jährigen Bestehens der Bruderschaft wurde dann 1904 ein Jubiläumsschießen durchgeführt. Josef Velten war der glückliche Schütze. Vor dem ersten Weltkrieg wurde noch ein Jubiläum gefeiert, denn man hatte inzwischen den 75. König der Bruderschaft gekrönt. Roland Rosbach wurde 1913 aus diesem Anlaß Jubilarkönig.
Von 1900 bis 1914 sind die Protokolle der Bruderschaft meist darauf beschränkt, die Wahl des jeweiligen Brudermeisters bekanntzugeben. Obwohl die Protokolle für diese 14 Jahre recht dürftig sind, enthalten sie trotzdem einige interessante Einzelheiten. So hatte die Bruderschaft zu Beginn dieses Jahrhunderts Schulden, denn auf der Jahresversammlung am 25.3.1901 wurden zur Deckung der vorhandenen Schulden von den anwesenden Mitgliedern 13 Mark eingesammelt. Der Präses, Pfarrer Berger, gab 3 Mark hinzu und die Brudermeisterin Elisabeth Schwarz lieferte an den neu gewählten Brudermeister Hermann Welter die Beträge ab. Auf dieser Versammlung wurde beschlossen, die Bruderschaftskasse von der Kasse des Schützenzuges zu trennen. Zur Entlastung des Brudermeisters, der bis dahin stets die Kasse verwaltet hatte, wurde Johann Strack zum Kassierer gewählt.
Fahne der Bruderschaft aus dem Jahr 1905
Die finanzielle Lage der Bruderschaft hat sich dann aber in den Folgejahren gebessert, denn am 25.3.1904 wurde beschlossen, eine neue Schwenkfahne und zwei Schärpen anzuschaffen. Nur ein Jahr später wird beschlossen, eine gestickte Kreuzfahne aus der Bruderschaftskasse zu bezahlen. Diese Fahne wird heute noch bei kirchlichen Feiern ausgestellt. Im Jahre 1908 entnehmen wir dem Protokoll, dass der Bruderschaftsstab „renoviert und neu versilbert“ werden soll. Im Jahre 1907 fällt der übliche Schützenzug aus. Aus dem Protokoll vom 3.8.1907 ist der Grund ersichtlich. Der Gastwirt Josef Arenz hatte dem Vorstand den Saal versprochen, dann aber vier Wochen vor der Kirmes an Musikanten vermietet.
Die Protokolle der Jahre 1913 und 1914 sind sehr kurz gehalten und enthalten nur die Wahl des Brudermeisters, der Fahnenträger und die Höhe des Kassenbestandes, der zuletzt 190,88 Mark betrug. Die Zahl der Mitglieder wird 1913 mit 45 und 1914 mit 55 angegeben. Die Jungfrauen treten als Bestandteil der Bruderschaft nicht mehr auf, und seit 1909 wird auch keine Vorsteherin mehr gewählt. Man darf daraus schliessen, dass dieser Zweig der Bruderschaft bereits vor dem 1. Weltkrieg eingegangen ist. Mit dem Ausbruch des 1. Weltkrieges stellte die Bruderschaft alle Aktivitäten ein.
Das Schützenkönigspaar Roland Rosbach und Gertrud Harffen mit Begleitern, 1912/13