Kapitel 6: Die Bruderschaft im Dritten Reich

1933 – 1945

Am 30. Januar 1933 übernahmen die Nationalsozialisten die Macht in Deutschland. Durch den Abschluss des Konkordats zwischen der nationalsozialistischen Regierung und dem Vatikan glaubten die der katholischen Kirche angeschlossenen Bruderschaften, anerkannt und geschützt zu sein. Dies sollte sich aber schon bald als Irrtum herausstellen.

Die Vorbereitungen für die Kirmes 1933 wurden in altbewährter Weise getroffen. Bei der Kirmes fielen dann schon einige Änderungen durch die herrschende NSDAP auf. Die Parade fand nicht mehr auf der Wilhelmstrasse (heute Adrianstrasse), sondern auf der „Adolf-Hitler-Straße“ statt. Die Zipperstrasse war in „Schlageterstraße“ und die Schulstraße in (heutige Basaltstraße) in „Horst-Wessel-Straße“ umbenannt worden. Der Brudermeister hatte die SA-Kapelle von der Standarte 160 als Zugmusik verpflichtet, weil diese preisgünstig war. Die Kapelle trat allerdings in Zivil auf.

Die Bruderschaft hatte bei dieser Kirmes jeden Tag ein Jubiläum zu feiern. Am Kirmessonntag wurde Jakob Limbach wegen seiner 25jährigen aktiven Mitgliedschaft und seiner langjährigen Tätigkeit als 2. Brudermeister zum Ehrenbrudermeister ernannt. Am Kirmesmontag feierte Paul Klein sein 25jähriges Königsjubiläum, und schließlich war am Kirmesdienstag das goldene Königsjubiläum von Rudolf Bergmann.

Die Festversammlung am 22.8.1933 im katholischen Vereinshaus begann nach dem Hochamt. Die Begrüßung erfolgte durch den 1. Brudermeister Hans Hübel, der unter anderem auf den Wahlspruch hinwies: „Wir halten am Deutschtum mit aller Kraft, Gott schütze Heimat und Bruderschaft“. Auf den Reichspräsidenten Hindenburg und den Volkskanzler Adolf Hitler wurden „Sieg-Heil“ – Rufe ausgebracht. Die Festrede hielt der ehemalige Schützenkönig Wilhelm Commans. Er ging näher auf das Jubiläum von Rudolf Bergmann ein. Nach ihm sprach der Ehrenvorsitzende, Pastor Johannes Averdung, der den christlichen Gedanken der Bruderschaft hervorhob und an das Leitwort „Treu zu Gott, treu zur Heimat und treu zur Tradition“ erinnerte. Für die ehemaligen Königinnen sprach Frau Gretchen Holtorf Glück- und Segenswünsche aus. Nach dem gemeinschaftlich gesungenen Lied „Heil Dir, Du Jubilar“, das Wilhelm Commans verfasst hatte, richtete Bürgermeister Dr. Pott noch einige Worte an die Versammlung. Der Sohn des Jubilars, Andreas Bergmann, dankte im Namen seines Vaters allen, die an der Festfeier mitgewirkt haben.44

Der Vollständigkeit halber sei noch darauf hingewiesen, dass im Jahre 1933 Willi Düppen Schützenkönig wurde und Grete Baum zur Königin nahm. Bei der Jahreshauptversammlung am 25.3.1934 wurde Willi Düppen zum 1. Brudermeister gewählt. Sein Nachfolger wurde im Jahr darauf Andreas Gemein.
Die traditionelle Mailehenverstei-gerung wurde am 30.4. 1934 nach altem Brauch vorgenommen, wobei Karl Menzel Maikönig und Else Hübel Maikönigin wurden. Am 6.5.1934 war dann der Maiball, dem nachmittags ein Schürreskarrenrennen vorangegangen war.

Seit wann die Mailehenversteigerung von der Bruderschaft durchgeführt wird, läßt sich nicht mehr feststellen. Zum ersten Mal finden wir einen Vermerk über die Mailehenversteigerung im Protokollbuch unter dem 25.4.1921, der besagt, dass diese „wie auch im Vorjahr“ durchgeführt werden soll. Sie wurde also 1920 aufgenommen, so dass man davon ausgehen kann, dass sie zumindest nach dem 1. Weltkrieg üblich war. Über diesen Brauch, der sich noch teilweise bis in die heutige Zeit erhalten hat, einige Anmerkungen. Der Brauch der Mailehenversteigerung besteht darin, dass die unverheirateten Mädchen des Ortes im Alter von 16-70 Jahren am Vorabend des ersten Maitages von den Junggesellen ersteigert werden. Der Ablauf der Versteigerung ist einfach. Die Mädchen des Ortes werden vom Brudermeister oder Schützenkönig in alphabetischer Reihenfolge nacheinander aufgerufen. Der Junggeselle, der für ein Mädchen den Höchstbetrag bietet und auch bezahlt, hat es ersteigert. Die nicht ersteigerten Dorfschönen kommen in das „Rötzche“ und werden dann in Gesamtheit versteigert. Das Mädchen, auf das der höchste Betrag entfällt, ist die Maikönigin. Danach wird die Versteigerungsliste öffentlich verbrannt.

Dem Junggesellen wird das Mädchen, das er ersteigert hat, als Tänzerin für den Maiball und die Kirmestage, in einigen Gegenden sogar für ein Jahr, zugeteilt. Früher hatte somit der Junggeselle das Recht, bei den Eltern des Mädchens anzufragen, ob beide gemeinsam den Maiball besuchen dürften. Verstand man sich gut, so wurde meist für jeden Sonntag im Monat Mai ein Spaziergang vereinbart, an dem mehrere Maipärchen teilnahmen. Aus dieser zwanglosen Art des Kennenlernens ist früher manche Ehe entstanden.

Damals wie heute ziehen die Junggesellen nach der Mailehenversteigerung in den Wald und holen für die Maikönigin und die ersteigerten Mädchen die Maibäume. Der Maibaum war früher eine Buche (Maien) und ist heute meist eine Birke. Er wird des Nachts am Fenster des Mädchens aufgestellt. Ahnt diese schon etwas, so stellt sie in der Regel eine alkoholische Erfrischung im Vorgarten oder Hausflur ab.

Noch bis 1937 konnten die Junggesellen die Mailehenversteigerung durchfuhren. Dann wurde das alte Brauchtum von den Nationalsozialisten insoweit verfälscht, als diejenigen Maikönig und Maikönigin wurden, die beim Reichsberufswettkampf die besten Ergebnisse – erzielt hatten.45 Die Nationalsozialisten stellten dann auch zum 1. Mai auf dem Marktplatz, später auf dem Adolf-Hitler-Platz (heute Friedensplatz) einen Maibaum nicht für die Mädchen im Ort auf, sondern versahen ihn mit den Symbolen der Arbeit.

Nach dem 2. Weltkrieg wurde der alte Brauch der Mailehenversteigerung und des Maibaumsetzens wieder aufgenommen. Dies scheint aber in den letzten Jahren zurückzugehen, denn im Jahre 1977 wurden noch 31 Maibäume in Oberkassel gezählt, während es 1993 bedeutend weniger waren. Sind die Junggesellen nicht mehr bereit, für ihre Mädchen einen Maibaum zu holen, oder ist heute die Besorgung eines „Schlagscheines“ beim Förster zu umständlich?

Zurück zu den Kirmesvorbereitungen für 1935. Die Planungen für das 50jährige Jubiläum des Peter Müller und das 25jährige Jubiläum des Christian Groll waren abgeschlossen, die Diensteversteigerung hatte schon stattgefunden, da wurden die Mitglieder der Bruderschaft zu einer außerordentlichen Versammlung für den 7.8.1935 einberufen. Was war vorgefallen, daß so kurz vor der Kirmes die Mitglieder zu einer wichtigen Versammlung eingeladen wurden?

Der Amtsbürgermeister Tersteegen hatte die Brudermeister des Amtes Oberkassel zu einer Besprechung auf das Rathaus eingeladen. Ihnen wurde erklärt, dass die Gleichschaltung der Vereine im Sinne der Partei stattzufinden habe. Die Bruderschaften dürften nicht mehr rein weltliche Feiern vornehmen. Dies wurde der Bruderschaft auch schriftlich mitgeteilt. Im Schreiben des Amtsbürgermeisters vom 6.8.1935 heißt es wörtlich: „In der Besprechung haben Sie erklärt, dass die Junggesellen-Schützenbruderschaft ein konfessioneller Verein ist. Demnach verbiete ich, dass anlässlich der Kirmes die Junggesellen-Schützenbruderschaft im geschlossenen Zuge auftritt sowie sonstige Veranstaltungen in der Öffentlichkeit unternimmt. Sollten Sie mir jedoch den Nachweis erbringen, dass der Junggesellen-Schützenbruderschaft der Charakter eines konfessionellen Vereins genommen worden ist, so bestehen keine Bedenken, dass der nunmehr weltliche Verein auch weltliche Feiern veranstaltet.“

Es war sicher nicht leicht, eine Entscheidung zu treffen. Sollte man die Kirmes 1935 ausfallen lassen und auch für die Zukunft keinen Schützenzug und kein Königsschießen durchfuhren? Sollte man der St. Hubertus-Schützengesellschaft, die ja keine kirchliche Bindung hatte, die Gestaltung der Kirmes überlassen? Nach längerer Aussprache, an der sich auch ehemalige Könige der Bruderschaft beteiligten, wurde folgender Beschluß einstimmig gefasst: „Die am 7. August versammelten Mitglieder und ehemaligen chützenkönige legen die bisher durch mündliche Überlieferung an den Kirmestagen durchgeführte Trennung zwischen J.M.J. Bruderschaft und der Junggesellen-Schützenbruderschaft durch eine Satzung schriftlich fest und führen den Namen Junggesellen-Schützengesellschaft 1819, Oberkassel (Siegkr.).“46

Dann wurden auf dieser Versammlung ein kommissarischer Vereinsführer und ein Beirat berufen. Eine neue Satzung wurde vorgelegt und genehmigt; sie hob als Zweck des Vereins hervor: „Betreibung des Schießsports, Veranstaltung eines Schützenzuges an den Kirmestagen zur Hebung des Fremdenverkehrs, Pflege der Kamaradschaft.“ Aktives Mitglied konnte jetzt jeder ledige, männliche, arische Volksgenosse werden, der das 17. Lebensjahr erreicht hatte, ohne Rücksicht auf die Konfessionszugehörigkeit. Der Einfluss des herrschenden Systems ist unverkennbar. Aber die Mitglieder glaubten, mit dieser Satzungsänderung einen Kompromiss gefunden zu haben und damit die über einhundert Jahre alte Tradition gerettet zu haben. Dies wird durch heute noch lebende Zeitzeugen bestätigt.47

Ganz wohl in seiner Haut scheint es dem Vorstand nicht gewesen zu sein, denn im Protokoll über diese entscheidende Sitzung findet sich im Anschluss an den Bericht über den Ablauf noch folgende Nachbemerkung: „Zusammenfassend sei hier festgestellt, dass die bisherige Vereinigung von kirchlicher Jesus-Maria-Josef Bruderschaft zugleich auch Junggesellen-Schützenbruderschaft getrennt wurden und dies durch eine neue Satzung der Junggesellen Schützengesellschaft festgelegt wurde. Eine Auflösung der Jesus-Maria-Josef Bruderschaft mit ihren kirchlichen Satzungen ist nicht erfolgt und besteht weiter.“ Im Protokoll ist noch vermerkt, dass es den Mitgliedern der Bruderschaft nicht verboten sei, an der Prozession teilzunehmen, auch dürfte der Baldachin getragen werden. Das Protokoll über die Kirmes 1935 berichtet dann auch, „die Chargierten trugen wie im Vorjahr den Baldachin.“ Die Trennung hat dann wohl in diesem Jahr mehr auf dem Papier gestanden, und den Auflagen der örtlichen Behörde wurde Genüge getan.

Zwei der ehemaligen Könige überbrachten dem Ehrenvorsitzenden Averdung das Ergebnis der Versammlung. Pastor Averdung vermerkte hierzu in der Pfarrchronik: „Vier Tage vor der Kirmes wurde auf Drängen der Ortsbehörde … im Zuge der Zeit die sog. Gleichschaltung der Jesus-Maria-Josef Junggesellen-Schützenbruderschaft vorgenommen. Man stützte sich hierbei auf Vereinsprotokolle vom Jahre 1819, weltliche und kirchliche Trennung. Ohne Baretts und Schärpen tragen Junggesellen den Baldachin bei der sacr. Prozession. Die Geistlichkeit verzichtete auf das übliche Fähndelschwenken auf dem Schulplatz. Jahrelang hat sich ein gutes Verhältnis zwischen Geistlichkeit und Bruderschaft gehalten. – Gemeinsame hl. Opferfeier u. Communion mit anschließender Morgensitzung – Beteiligung der Geistlichkeit an den Saalfeiern und Festen, große schöne Theateraufführungen. Jetzt soll alles anders werden!!“48 Diesem Eintrag des Pastors ist nichts hinzuzufügen.
Nach diesem unliebsamen Vorspiel lief die Kirmes 1935 in altbewährter Weise ab. Heinrich Koßmann holte schon nach kurzer Zeit den Vogel von der Stange und erkor seine Schwester Maria zur Königin. Der Kirmesdienstag hatte sein besonderes Gepräge durch die Feier des 50jährigen Königsjubiläums des Schützenkönigs Peter Müller und seiner Königin Katharina Stockhausen geb. Richarz, sowie des 65jährigen Königsjubiläums der Schützenkönigin Katharina Gemein, geborene Weinstock.

Die Junggesellen wollten zu den in den zwanzigerso erfolgreichen Theateraufführungen zurückkehren. Im Jahre 1935 wurde dann auch das Stück „Wenn du noch eine Mutter hast“ aufgeführt. Im nächsten Jahr wählte man die Luststücke „Der Einbruch in die Wurstküche“ und „Der Krieg gegen Hereros oder Tünnes in Afrika“ aus. Nun musste zu dieser Zeit des NS-Regimes jede öffentliche Veranstaltung, Tanzveranstaltung und Vereinsversammlung der örtlichen NSDAP gemeldet werden. Diese bekam nun auch die vorgesehenen Theaterstücke vorgelegt. Sie war mit diesen Stücken nicht einverstanden und schrieb am 25.11.1936: „Nach Prüfung der Textbücher möchte ich Sie bitten, von der Aufführung dieser Stücke Abstand nehmen zu wollen, da der Inhalt in der heutigen Zeit nicht angebracht ist, da derdelbe mit Kunst und Kultur nicht das geringste zu tun hat.“ Diese Stellungnahme teilten die Junggesellen dem Theaterverlag Pannek, Göttingen mit, denn von ihm hatten sie die Textbücher. Der schrieb, „dass bereits eine ganze Reihe von Aufführungen dieses Stückes stattgefunden haben und dass das Werk bisher von keinem Kulturwart und keiner Stelle beanstandet worden ist.“ Man empfahl, sich nochmals mit dem Ortsgruppenleiter in Verbindung zu setzen. Die erwähnten Luststücke wurden letztlich aber doch nicht aufgeführt.

Am 28.2.1937 wurde das Theaterstück „Der Dornenkranz einer Mutter“ in der Gaststätte Zur Wolfsburg auf die Bühne gebracht, ein Schauspiel ernster Art. Die Aufführung war ein Erfolg und wurde am 14.3.1937 wiederholt. Es war die letzte Theateraufführung, die von den Junggesellen getragen wurde.

Von der Kirmes 1936 ist noch zu berichten, dass es Willi Peters nach langem Kampf gelang, den Vogel zu schießen. Als Königin erwählte er sich Hanni Schneider. In diesem Jahr fanden die Olympischen Spiele in Berlin statt, und der neue Schützenkönig berücksichtigte dieses Ereignis auf seinem Königsschild.

Im nächsten Jahr, 1937, hieß der neue Schützenkönig Johannes Büsch und die Königin Katharina Lautenschläger. Es war auch ein goldenes Jubiläum zu feiern, nämlich das von Nikolaus Cerfontaine und Anna Hölscher. Die Festfeier im Hotel Zur Post verlief harmonisch. Von der Kirmes 1937 sind die Chargierten der Junggesellen bekannt und werden nachstehend aufgeführt:

  1. Hauptmann Peter Mittler
  2. Feuerwerker Heinrich Koßmann
  3. stellv. Vereinsführer Jacob Limbach
  4. Begleiter links (So.) Johannes Büsch
  5. Begleiter links (Mo.) Peter Richarz
  6. Begleiter rechts Johannes Wingen
  7. Vereinsführer und Schützenkönig 1936/37 Willi Peters
  8. Begleiter links Peter Gemein
  9. Begleiter rechts Heinrich Brenner
  10. 2. Fähnrich Willi Weller
  11. Begleiter links Nikolaus Lemmerz
  12. Begleiter re. Willi Mittler
  13. 1. Zugführer Johannes Schmitz
  14. 2. Zugführer Herm. Keppelstraß
  15. 1. Fähnrich (So.) Heinrich Kreuder
  16. 1. Fähnrich (Mo.) Jacob Gemein
  17. Begleiter li. Theo Neunkirchen
  18. Begleiter re. Josef Everharz
  19. Schließoffizier li. Adolf Mähler
  20. Schließoffizier (Mo. u Di.) Christian Lang
  21. Schließoffizier re. Hans Geyer
  22. Schützenkönig 1937/38 Johannes Büsch
  23. Begleiter li. Fritz Büsch
  24. Begleiter re. Heinrich Kreuder

Im Herbst des Jahres 1937 war vom Deutschen Schützenverband im Reichsbund für Leibesübungen gebeten worden, die beiden in Oberkassel bestehenden Schützengesellschaften sollten sich vereinigen. Am 17.10.1937 versammelten sich die Mitglieder der St. Hubertus-Schützengesellschaft und die der Junggesellen-Schützengesellschaft im Hotel Zur Post, um über den Zusammenschluss zu beraten. Erschienen waren der Amtsbürgermeister und der Ortsgruppenleiter, die ein großes Interesse an dem Zusammenschluss hatten. Die Junggesellen baten um eine Frist, um die Sache in den eigenen Reihen besprechen zu können. In der eigens zu diesem Punkt einberufenen Versammlung am 30.10.1937 stellten die Junggesellen an den Zusammenschluss einige Bedingungen. Die Tradition der Junggesellen, wie Maiball, Kirmes mit Fahnenschwenken, Parade, Königstanz usw. müsse unter allen Umständen erhalten bleiben und der neue Vereinsführer müsse mit der Tradition verwachsen sein.

In der nächsten gemeinsamen Versammlung am 6.11.1937 wurden die Forderungen der Junggesellen anerkannt und die „Schützengesellschaft 1819“ gegründet. Das Vereinsjahr begann am 1.1.1938. Theo Braschoß als ehemaliger Schützenkönig der Junggesellen und auch Mitglied der St. Hubertus-Schützengesellschaft wurde als Vereinsführer gewählt. Weiter wurden Hans Werker zum Führer der Jungschützenkompanie bestimmt. Damit war ein weiterer Schritt getan, der die Junggesellen von ihrer ursprünglichen und eigenständigen Tradition entfernte.

Der Schießstand der früheren St. Hubertusschützen im Broich war zu Anfang des Jahres 1938 erheblich erweitert und neu gestaltet worden. Nunmehr konnten 10 Schützen zu gleicher Zeit schießen. „Die Pflege des Schießsports steht im Mittelpunkt der Schützengesellschaft“, heißt es in einem Zeitungsartikel.49 Diesen Schießsport kann man im nachhinein nur als Wehrertüchtigung ansehen, denn er wurde nunmehr jeden Sonntag ab 10.00 Uhr für alle Interessenten angeboten.

Die Musik an der Kirmes 1938 stellte der Musikzug der Flak-Abt. Bonn unter Leitung des Musikmeisters Seegers. Neben dem üblichen Königsvogelschießen fand auch ein Bürgervogelschießen statt. Die Königswürde errang in diesem Jahr Hermann Scheidt, der sich als Königin Loni Dreesbach erwählte. Ein Höhepunkt war in diesem Jahr sicherlich die Ehrung des Jubelkönigs Peter Thomas, der in diesem Jahr sein 60. Königsjahr feierte, also im Jahre 1878 den Vogel geschossen hatte. Die Ehrung fand im Hotel zur Post statt. Es wurden viele Glückwünsche zu diesem bis dahin einmaligen Jubiläum ausgesprochen. Im großen und ganzen verlief diese Kirmes noch in der alten traditionellen Weise.

Die erste Generalversammlung der neu gegründeten „Schützengesellschaft 1819“ im Januar 1939 war schwach besucht, aber die Führungsspitze der NSDAP war mit dem Ortsgruppenleiter, dem Ortsgruppen-Organisationsleiter und dem Ortsgruppen-Propagandaleiter stark vertreten. Im Jahresbericht der Schützengesellschaft wurde betont, dass der Zusammenschluss der beiden Gesellschaften ebenso notwendig wie erfolgreich war.50

Die Vorbereitungen für das „Oberkasseler Schützenfest“ von 1939, wie man die Kirmes jetzt nannte, liefen an, trotz aller dunklen Wolken am politischen Horizont. Ausgerechnet für die Kirmestage war im Regierungsbezirk Köln eine Verdunkelungsübung angesetzt. Die Paraden am Kirmesmontag und -dienstag mussten daher um eine Stunde vorverlegt werden. In zwei Sälen wurde Tanzmusik gehalten, und es herrschte fröhliche Stimmung. Wenn es in den Sälen zu heiß wurde, gab es fünf Minuten Verdunkelung. Dann machte man das Licht aus, die Fenster auf, und nach der Durchlüftung wurde weiter getanzt.51 Damals hat sicher niemand geahnt, dass eine Woche später mit dem Überfall auf Polen der 2. Weltkrieg beginnen würde.

Der amtierende Schützenkönig war bei dieser Kirmes Hermann Scheidt. Er befand sich jedoch beim Reichsarbeitsdienst und bekam erst kurzfristig für den Kirmesdienstag Urlaub. Man holte ihn direkt vom Bahnhof ab und geleitete ihn zum Restaurant Oberkasseler Hof. Von hier aus ging er dann in RAD – Uniform als König des Vorjahres mit im Schützenzug.

Der Bericht über die Kirmes 1939 wäre unvollständig, wenn man nicht den Schützenkönig Peter Nuyen erwähnen würde. Acht Schützen hatten die Absicht, den Rumpf des Vogels von der Stange zu holen, aber Nuyen war der glückliche Schütze. Als Königin erwählte er Anni Brodthuhn. Begleiter waren Willi Pütz und Heinz Bungert, die Begleiterinnen hießen Käthe Nuyen und Liesel Görg.

Am 3. März 1940 war, soweit bekannt ist, die letzte Generalversammlung der „Schützengesellschaft 1819“ im Hotel zur Post. Es gibt hierüber nichts Wesentliches zu berichten, außer dass ein Schützenbruder die Betreuung der im Felde stehenden Mitglieder übernahm. Der letzte Satz des Zeitungsberichts über diese Versammlung lautet: „Die Gesellschaft wird dann die Kriegszeit gut überstehen und kann nach dem Sieg die Pflege des Schießsports und die Wahrung heimischen Brauchtums in altgewohnter Weise fortführen.“52 Die Nationalsozialisten haben den Krieg nicht überstanden, aber die Bruderschaft besteht heute noch und kann auf eine 200jährige wechselvolle Geschichte zurückschauen.

Die Aktivitäten der Schützengesellschaft erloschen während des 2. Weltkrieges fast ganz. Lediglich im Kriegsjahr 1941 wurde im kleinen Kreis das 50jährige Königsjubiläum von Peter Wirges begangen.

Dieser Abschnitt darf nicht zu Ende gehen, ohne dass der gefallenen und vermissten Mitglieder der Bruderschaft gedacht wird. Für alle stellvertretend seien hier die gefallenen Schützenkönige Willi Düppen, Willi Peters und Johann Künzler genannt.